Stanislaw Lem – Solaris

Klassiker der SciFi-Literatur und durchaus lesenswert. Lem schreibt unspektakulär, ohne Effekthascherei, fast ein bisschen zu technokratisch, aber ohne den Leser mit Technik oder Zahlen zuzudröhnen. Andy Weir wäre sein heutiger geistiger Nachfolger, allerdings verwendet dieser mehr Action und eben jenes technische; ohne dabei plump oder aufdringlich daher zu kommen.

Die Story von Solaris erschließt sich sehr schwer. Ein Wissenschaftler wird auf eine Raumstation gesendet, die um einen Planeten kreist, der so etwas wie ein Bewusstsein hat und auf eigenartige Weisen mit den Menschen kommuniziert. Ein mittel ist z.B., daß er verstorbene Personen real werden lässt, zugänglich und sichtbar aber nur für die Menschen in der Raumstation, die engere emotionale Beziehungen zu diesen Menschen hatten. So sieht der Protagonist seine verstorbene Ehefrau und interagiert mit ihr. Lem ging es bei diesem Werk um das Aufzeigen der Möglichkeit einer nicht-menschenähnlichen Intelligenz und den Umgang mit dieser, ein extrem interessantes Gedankenspiel, was den Roman sehr zeitlos macht. Der unaufgeregte Schreibstil könnten das Buch etwas langweilig erscheinen lassen, es hat aber eine angenehme Tiefe. Für Zwischendurch durchaus mal lesenswert.

Guido Morselli – Dissipatio humani generis

Guido Morselli schreibt die Geschichte eines Solipsisten. Falls jemand jemals ein Buch sucht, was diese philosophische Extremposition in natura beschreibt, das hier ist es.

Die Story ist schnell beschrieben: Der Protagonist will seinem Leben ein Ende setzen, etwas geht schief und er stellt fest, daß die gesamte Menschheit (oder zumindest alle Menschen in seiner Umgebung) verschwunden ist und er der einzige Mensch ist, der noch über die Erde wandelt. Der Rest ist Introspektion, die ist größtenteils interessant ist und sehr dicht, aber es ist auch gut, daß Morselli es nicht zu sehr in die Länge zieht. Melancholie ist die vorherrschende Stimmung, die Morselli exzellent vermitteln kann. Die intellektuellen Exkurse, die der Protagonist in seiner Einsamkeit geht, finde ich ebenso exzellent – das Buch hat auf alle Fälle, was den intellektuellen Anspruch angeht, eine sehr hohe Dichte.

Und eben diese Mischung aus krassem Existentialismus, ruhiger, melancholischer Grundstimmung, die aber nie ins wirre, panikartige abdriftet, (Gesellschaftskritik ist übrigens auch noch ordentlich dabei) und dem storytechnisch gesehen abgefahrenen Setting .. hat mich festgehalten. Ist ein gutes Buch, sehr speziell auf alle Fälle, ich finds gut.

Erich Fromm – Die Kunst des Liebens (Buchbesprechung zu zweit)

Meine Freundin und ich lesen und reden über „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm, welches 1956 erschienen ist und neben „Haben oder Sein“ und „Die Furcht vor der Freiheit“ als eines der Hauptwerke Fromms zählt. Er behandelt darin, nunja die Liebe aus psychoanalytischer Sicht als einzigen Ausweg des Menschen aus seiner ihm innewohnenden Existenzangst, die sich aus der Natur des Menschen als reflektierendem Wesen ergibt.

Der Einstieg erfolgt etwas aprupt und ohne Einleitung in Kapitel 2, wir erläutern aber einige Gedanken aus vorangegangenen Kapiteln.

Kapitel 2 – Theorie des Liebe – Liebe als Antwort auf das existentialistische Problem

Kapitel 2 – Theorie der Liebe – Objekte der Liebe (Nächstenliebe, Mutterliebe, erotische Liebe)

Kapitel 2 – Theorie der Liebe – Objekte der Liebe (Selbstliebe, Liebe zu Gott)

Kapitel 3 – Der Verfall der Liebe in der heutigen Zeit

Kapitel 4 – Praxis der Liebe

Mary Shelley – Frankenstein (Hörbuch)

Vor knapp 3 Monaten wurde ich angesprochen ob ich nicht mal ein Hörbuch machen will. Es hat dann doch etwas gedauert, aber voilá, los gehts.

Teil 1 – Einleitung, Leben von Mary Shelley

Teil 2 – Walton, Erzählstil, Stimmung

Teil 3 – Frankensteins Jugend und wie und warum das Ganze hier 🙂

Teil 4 – Erschaffung der Kreatur, zentrales Motiv wird erklärt

Teil 5 – Nach der Schöpfung, Tod seines Bruders

Teil 6 – Begegnung Frankensteins mit seinem Geschöpf, Geschichte der Kreatur


Teil 7 – Poesie, zweite Begungung

Teil 8 – Abschluß von Frankensteins Erzählung

Teil 9 – Abschluss der Geschichte, Nachbetrachtungen

Teil 10 – Nachbesprechung mit Gästen

Hendrik Otremba – Kachelbads Erbe

Nach seinem Erstling „Über uns der Schaum“ das zweite Werk vom jungen Künstler Hendrik Otremba und ich bin etwas enttäuscht, aber das liegt hauptsächlich an meiner Erwartungshaltung aus dem Vorgänger. Im Gegensatz zu seiner poetischen, melancholischen Neo-Noir-Detektivgeschichte ist das hier ein ausgewachsener Roman, dem leider die künstlerische Leichtigkeit und etwas der Tiefgang fehlt. Trotzdem ist es ein gut geschriebener, lesenswerter Roman.

Die Geschichte ist dabei interessant und jederzeit spannend erzählt, Thematik ist des Einfrieren von Menschen in der Hoffnung, daß irgendwann der wissenschaftliche Fortschritt ein Wiederbeleben ermöglicht und die Person später weiterleben kann und als letzter Schritt eventuell sogar Unsterblichkeit stehen kann. Die Motive der Protagonisten im Buch sind unterschiedlich, schwere Krankheit, nicht mehr im Hier leben wollen, Neugierde.

Hauptprotagonist und zentraler Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Kachelbad, ein Wissenschaftler der solche Einfrierungen durchführt. Wir begleiten ihn bei Begegnungen mit anderen Charakteren, hauptsächlich mit seinen „Kunden“, deren Geschichten in Seitensträngen erzählt werden, es gibt also häufige Perspektivwechsel und das hält die Story stets spannend. Allerdings fühlen sich die letzten 50 Seiten vollkommen deplaziert im Bezug zur Hauptstory an, mir ist das ein zu großer Sprung und der trägt zu meiner Enttäuschung bei.

Sprachlich ist der Roman wesentlich mehr straight forward als „Über uns der Schaum“, es gibt Poesie aber hauptsächlich wird eine Geschichte erzählt. Die Stimmung die sich beim Lesen einstellt ist ebenso geglätter, das düster melancholische weicht einer emotional ausgeglicheneren Resonanz. Durch diese beiden Faktoren verliert der Roman allerdings Tiefe und emotionale Bindung, driftet Richtung Beliebigkeit und zielt auf Lesbarkeit für eine größeres Publikum. Das finde ich auch nicht schlecht und vollkommen elgitim, schliesslich ist es trotzdem ein gutes Buch, aber richtig gefangen genommen hat es mich nicht.

Alles in allem, wenn man einen sauber geschriebenen Roman der sich bisschen Abseits der Norm bewegt, von einem zeitgenössischen jungen Schriftsteller, lesen will kann man hier bedenkenlos zugreifen. Gutes Buch.

Annie Ernaux – Die Jahre

Beim Aufräumen nach der Geburtstagsfeier bin ich dann auch mal zum Geschenke auspacken gekommen und dieses unscheibare Buch war dabei. Annie wer? Rückentext gelesen, hm, klingt jetzt nur semi-spannend. Ich les erstmal die Schachnovelle und leg das mal auf den Haufen zu den anderen noch zu lesenden. Naja gut, paar Tage später war es dann dran und dieses Buch ist der Hammer, vor Hammett und Otremba mein Buch des Jahres.

Annie Ernaux ist 1940 in der französichen Provinz geboren, später Zeit in Paris verbracht, geheiratet, Kinder, als Lehrerin gearbeitet, absolut unspektakuläres Leben und das Buch ist mehr oder weniger eine Autobiographie. Kein Lebensbericht von einer bekannten Schauspielerin, Schriftstellerin, Sportlerin oder sonst irgendwie bekannten Person, sondern eine Erzählung des Lebenswegs einer Person aus der Mitte der Gesellschaft. (kleine Bemerkung nebenbei: Annie Ernaux ist natürlich schon bekannt und als Schriftstellerin angesehen, vor allem in Frankreich kann man mit dem Namen was anfangen.) Da enstand bei mir beim Lesen eine gewisse Verbundenheit, vieles was sie schreibt kann man nachvollziehen und es könnten abstrakt gesehen auch Gedanken, Erfahrungen aus meinem Umkreis sein.

Inhaltlich schreibt sie viel über ihre Gedanken zum Lauf der Welt, dazu noch Emotionales und sie nimmt den leser dabei immer wieder kurz an die Hand in welchem jahr er sich befindet und was mit ihr zu dem Zeitpunkt los war. Im Großen und Ganzen ist es ein politisches Buch, eine soziologische Analyse der Gesellschaft aus linksintellektueller Sicht, dabei niemals plakativ oder anklagend, aber trotzdem natürlich kritisch mit der Weltentwicklung ins Gericht gehend. Mir kam beim Lesen mehrmals die Parallele zu Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ (auch ein sehr gutes Buch) auf, thematisch gibts da viel Schnittmenge, aber Eribon ist halt Soziologe und deshalb teilweise sehr zäh zu lesen. Ernaux hat einen so schnörkellosen, dabei präzisen, leicht poetischen, aber keinen abgeschwurbelten Schreibstil – es ist eine Pracht.

Thematisch haben mir ihre Berichte über die 90er am besten gefallen, Niedergang der Sozialdemokratie, Technologiesierung, Durchkapitalisierung der Welt. Alles auch meine Themen und eigentlich würd ich alles teilen was sie schreibt. Aber auch ihre Berichte aus den 60ern und 70ern sind schwer interessant, diese Zeiten haben für mich immer so etwas mythisches, Zerstörung von verkrusteten weltkriegsprovozierenden Strukturen durch linke Studenten, durch friedliebende Menschen (fällt mir grad Hunter S. Thompson ein der über die Hippebewegung in den USA geschrieben hat) die den Moment der Geschichte einfach auf ihrer Seite hatte.

Und noch etwas hat das Buch in mir wiedererweckt: das Bedürfnis mit meinen Großeltern zu reden und das Ganze auch irgendwie aufzuzeichnen. Geschichte kann man sich aus Büchern oder Wikipedia zusammenreimen, erleben muss man sie selber und Menschen aus anderen Generationen haben sie erlebt und können darüber berichten. Meine Großeltern sind alle Mitte ’30 geboren und mich interesiert schon wie das damals gewesen ist, mit dem ende des Krieges, mit den Russen, der DDR, der Wiedervereinigung und wie sich die Transition nach der Wende für sie angefühlt hat. Zeitzeugenberichte sind schwer zu ersetzen und Fakt ist, daß sie irgendwann nicht mehr live erfahrbar sind.

Also kurzum, das Buch triggert in mir einiges an den genau richtigen Stellen, inhaltlich top, von Anspruch her ausgezeichnet, sprachlich ganz groß, inspirativ, bzw hinterfragt man sich auch selbst gern mal beim Lesen, es hat keinen Durchhänger, lässt einen emotional bischen kalt aber den Anspruch würde ich an kein Sachbuch anlegen. Ich bin begeistert von diesem Buch.

Stefan Zweig – Schachnovelle

Klassiker der deutschsprachigen Literatur und ein relativ unspektakuläres, kurzes, nicht allzu intensives Werk – ich denke mal das hat das Genre der Novelle so an sich.

Inhaltlich werden 2 Thematiken angesprochen: die Auswirkungen von Isolationshaft und die (sportliche) Konfrontation zweier diametraler Charaktere.

Das reisst einen nicht mit, geschweige denn verstört einen, sondern ist einfach eine schön geschriebene Geschichte. Lesenswert.

Hendrik Otremba – Über uns der Schaum

Sehr gutes Buch, neben Dashielle Hammett ist das meine Entdeckung des Jahres. Die beiden liegen zwar um die hundert Jahre auseinander, bedienen aber das gleiche Genre – den Detektivroman. Mit ein bischen Schmunzeln könnte man sagen, das Otremba der poetisch und düster, aber nicht so sehr zum zynischen angehauchte Urenkel von Hammett ist. Das Setting könnte auch unterschiedlicher nicht sein, Hammett mit seinen Szenen in der Großstadt, Otremba läßt seinen Protagonisten durch eine postapokalyptische Welt geistern. Nichtsdestotrotz sind die Hauptdarsteller Detektive die einen Fall zu lösen haben und noch weitere Parallelen sodaß der Vergleich nicht unbedingt hinkt.

Otrembas Sprache ist poetisch, direkt, melancholisch, manchmal brutal (auch wenn das nie an zB einen Richard Morgan ranreicht) und er schafft es viel Information zB hinsichtlich worldbuilding gekonnt zu vermitteln. Teilweise ist es bischen zu verschwurbelt, aber wird nie so abgedreht wie bei Pynchon oder Joyce. Auch storytechnisch kommt er mir zu häufig auf auf die verlorene Liebe des Protagonisten zurück – das nervt auf der einen Seite, arbeitet anderseits aber sehr schön die Verzweiflung und die Sehnsucht heraus. Überhaupt gibt es viel Introspektion, der Hauptcharakter wird wundervoll skizziert.

Storytechnisch ist es eine Mischung aus Detektivroman und roadmovie, da der Protagonist und die Frau die er beschatten soll irgendwann zusammen vor mehreren Verfolgern fliehen müssen, es floss etwas zu viel Blut… Die Flucht geht durch eine verwüstete, verlassene, teilweise verseuchte Landschaft, die Hintergründe der Verwüstung als auch die zeitliche Einordnung fehlt komplett, tut der Atmosphäre aber keinen Abbruch, gedanklich findet man sich schnell zurecht.

Hendrik Otremba ist ein junger deutscher Künstler, Sänger der Postpunker von „Messer“, Maler und jetzt auch Schriftsteller, vielseitig könnte man sagen und gespannt sein was da noch so alles folgt.

Y. N. Harari – Kurze Geschichte der Menschheit

Juhu, mal einen Spiegel-Bestseller gelesen – kommt sehr selten vor – oder besser gesagt angelesen, denn nach 100 Seiten hats mir gereicht.

Der Titel passt auf alle Fälle, Hariri schreibt eine Geschichte der Menschwerdung von den biologischen Anfängen der Menschenvorfahren über die Jäger-und-Sammler-Gesellschaften und die Sesshaftwerdung bis hin zu weis ich nicht, denn ich habs da abgebrochen. Das Ganze ist sehr kurzweilig, nach dem Anhang zu urteilen sehr ordentlich recherchiert, er vermittelt auf alle Fälle viel Wissen und bringt interessante Thesen (z.B. daß der Mensch deshalb so aggressiv gegen sich selbst vorgeht weil er sich am Anfang seiner Entwicklung irgendwo in der Mitte der Nahrungkette befand und durch Biologie und Technologie ganz nach oben gestiegen ist, den Schritt aber nicht „verkraftet“ hat).

Was mich aber massiv stört ist, daß er spekuliert, bzw. durch die Thematik zum Spekulieren gezwungen ist, daß aber nicht kenntlich macht. Wenn man das Buch ohne Reflektion hinnimmt würde man den Inhalt für die Wahrheit halten, es ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten und halt seine Meinung die aus seinem heutigen weltbild herührt. Er glorifiziert zum Beispiel die Jäger-und-Sammler-Gesellschaft (kann man ja machen, freies, selbstbestimmtes Leben in kleinen Gruppen in der Natur fänd ich jetzt auch nicht das schlechteste) gegenüber den sesshaft gewordenen Gruppen mit teils hanebüchenen Argumenten bzw. unter Ausblendung der Vor- und Nachteile der jeweiligen Gesellschaften und da wirds mir schon n bischen zu bunt.

Abgesehen davon, daß ich seinen Stil nicht gut finde (kommt mir sehr arrogant und teilweise erzieherisch vor), passt der Mix einfach nicht, die Wissenschaft hinter der Evolution schreibt er schön locker flockig runter und ich kauf ihm auch sehr viel davon ab. Aber eigentlich ist das Buch wie der Titel andeutet eine Geschichte und Geschichten haben immer etwas fiktives. Und wenn ich eine Geschichte lesen will dann greif ich zu nem Märchenbuch oder nem Roman und da weis ich, daß ich mich in einem Erzählraum befinde. Dem Buch hier fehlt dieser Aufdruck, deswegen geb ich mal eine eingeschränkte Empfehlung, mit Filter zu lesen, dann bekommt man solides, kurzweilige Wissensvermittlung.