Na, da ist die SPD ja fast wieder wählbar geworden, bzw. hat seit Jahren mal wieder eine richtig gute Entscheidung was Führungspersonal angeht getroffen. Aber seien wir ehrlich, weiter bergab gehen konnte es ja kaum mit einer Partei der früher mal die Arbeiter, die kleinen Leute vertraut haben. (Zur Analyse wie es so weit kommen konnte sei hier auf das kleine, sehr feine Buch “Vorwärts oder Abwärts – Zu Transformation der Sozialdemokratie” von Franz Walter verwiesen – exzellente Analyse meiner Meinung nach).
Es ist natürlich auch klar, daß eine Schwalbe keinen Sommer macht und das derzeitige Hoch der SPD wird sich auch wieder relativieren. Dennoch bringt Schulz gegenüber dem bisherigen SPD-Vorsitzenden Gabriel 2, 3 Vorteile mit – er ist innenpolitisch nicht mit den Narben des derzeitigen Führungspersonals belastet, er ist den Deutschen als Streiter für das Gerechte in Europa bekannt (z.B. hat er kein Problem Politikern wie Berlusconi, Orban oder Erdogan die Stirn zu bieten; das kommt gut an) und er ist beliebter als Gabriel, auch wenn das keine große Kunst ist, und dadurch aber auch glaubwürdiger. Unter Gabriel hätten weniger Wähler der SPD einen Sinneswandel abgekauft den die Partei jetzt an den Tag legen muss. Und ich sage bewusst ´muss´ denn ein ´Weiter so´ kann sich die SPD nicht erlauben wenn sie nicht hinter der AFD landen will. Das bedeutet aber auch, daß die SPD Positionen beziehen muss und zwar linke Positionen, Unentschlossenheit oder Anlehnen an die CDU wird vom Wähler mit Bedeutungslosigkeit bestraft werden. Wenn Schulz wirklich mit der Prämisse antritt Kanzler zu werden geht das eigentlich nur mit Rot-Rot-Grün. Ich sage ´eigentlich´ weil die einzigen beiden anderen Möglichkeiten (große Koalition mit SPD vor CDU und Ampelkoalition) eher unwahrscheinlich sind aber wir wollen sie mal nicht ausser acht lassen, die SPD würde in diesen beiden Fällen natürlich selbstbewusster auftreten aber nicht unbedingt andere Politik machen. Aber realistisch ist nur RRG als Option wenn Schulz wirklich Kanzler werden will und so tritt er ja an wenn ich das richtig verstehe. Das wiederum bedeutet, daß wir einen schönen Lagerwahlkampf bekommen und darauf freue ich mich sehr, weil dann endlich mal wieder die eigentlich wichtigen Themen wie soziale Gerechtigkeit, faire Bezahlung, bezahlbarer Wohnraum, Regulierung der Finanzwelt usw. auf den Tisch kommen und wir nicht nur Flüchtlinge hier, Sicherheitspolitik dort, Obergrenzendebatten und Gelaber von Patriotismusscheisse haben werden. Endlich werden diese Themen mal abgeräumt, ich kann diese Lautsprecher und Giftspritzer aus der rechten Ecke nicht mehr hören. Sollen sie ihre 15% bekommen, bitte schön, aber den gesellschaftlichen Diskurs haben sie viel zu lange über Ihre eigentliche Rückendeckung beansprucht – gut jetzt, leiser drehen, danke.
Die SPD hat natürlich immer noch den Riesenrucksack auf, den Schröder damals gepackt hat und es wäre naiv zu glauben, daß die Agendapolitik rückgängig gemacht wird. Die SPD muss allerdings ihre Fehler einsiehen, Demut beweisen und das System reformieren, abschaffen wird sie es weder wollen noch können. Falls sie es dennoch verspricht wird der Schuss nach hinten losgehen. Ebenso naiv wäre es zu glauben, daß die ganzen Versprechungen die dieses Jahr gemacht werden auch umgesetzt werden, aber das Problem haben alle Parteien, einen Nichtpolitiker wie Trump, der auch das sagt was er ankündigt so unglaubwürdig es auch klingen mag, haben wir hier (Gott sei Dank) nicht, bzw. hätte so jemand in unserem Parteiensystem keine Chance überhaupt an die höheren Ränge aufzusteigen (na gut, ein paar Ausnahmen hat es da sicherlich schon gegeben, siehe Franz-Josef Strauss oder eben Gerhard Schröder obwohl der ohne den Seeheimer Kreis auch nicht soweit gekommen wäre).
Das Thema Koalitionsfähigkeit mit den Linken ist ein anderes Thema. Die SPD ist jetzt, mit Unterbechung von 2009 bis 2013, 8 Jahre lang kleiner Regierungspartner gewesen, da kann sich schon ein gewisses Phlegma einstellen was Kompromissfähigkeit angeht (überspitzt ausgedrückt: ´Egal was die CDU verlangt, wir machen mit, Hauptsache mitregieren´). Obwohl man solche Errungenschaften wie Mindestlohn und Mietpreisbremse nicht vergessen sollte. Als Wahlsieger, bzw. wenn RRG möglich ist, wird die SPD natürlich mehr Ansprüche stellen und ob die Linken dazu bereit sind, da hab ich doch Zweifel. Bei den Grünen wird das einfach, Göring-Eckardt und Özdemir würden Ihre Mutter verkaufen um mitzumischen, konservativ, links, rechts, liberal, die Grünen sind die Amöben, anpassungsfähig bis zum geht-nicht-mehr. Aber die Linke? Da gibt es sicherlich einige (wahrscheinlich trotzdem wenige) Positionen die zur Zeit unvereinbar mit der SPD sind, aber naja, mal schauen wenn sich die Fähnchen wirklich Richtung Sieg drehen ob sich da nicht auch Kompromissbereitschaft einstellt. Was ja schon mal gut ist, ist dass mit Schulz ein Mann an der Spitze der SPD steht, der die Linken nicht ablehnt so wie Schröder, Steinbrück und Gabriel das mehr oder weniger klar zum Ausdruck gebracht haben. Das Thema bleibt auf alle Fälle eines des spannendsten.
Also Martin, ich werd dich nicht wählen, da mir das linke Original lieber ist, aber trotzdem viel Glück auf deinem Weg, mach es, damit wir endlich die Konservativen los sind und soziale Themen mal wieder in den Vordergrund rücken. Schulz ist der richtige Mann zur richtigen Zeit, auf einen spannenden Wahlkampf.